Die Japaner sind als ein sehr höfliches Volk bekannt. Dies ist nicht bloß ein Vorurteil, sondern tatsächlich wahr. Selbst wenn man das erste Kennenlernen schon lange hinter sich hat, gibt es noch unzählihge Etikette-Regeln, die es zu beachten gilt. Diese Höflichkeit ist so tief verwurzelt, daß man sie an jeder Ecke der Sprache wiederfindet. Hier möchte ich als Kurz-Einstieg kurz ein paar ganz elementare Beispiele erklären.
Wir alle kennen es, daß wir fremde Personen zunächst einmal Siezen, und erst wenn sich eine gewisse Vertrautheit entwickelt hat, kann man zum legeren „Du“ übergehen. Prinzipiell recht einfach, nur leider ist es im Japanischen etwas komplizierter.
Wenn wir auf deutsch etwas von uns selbst erzählen, benutzen wir ganz einfach das Wörtchen „ich“. Das gleiche gilt in den meisten westlichen Sprachen, egal ob deutsch, englisch, französisch: man selbst referenziert sich unabhängig von Alter, Geschlecht oder Gesprächspartner einfach als „ich“. Im Japanischen ist es nicht so einfach. Besonders der letzte Punkt, der Gesprächspartner, und welchem hierarchischen Rang man zu diesem steht, bestimmt, wie man von sich selbst sprechen sollte.
- Die erste Form, die man immer und überall lernt, ist 私 (わたし = watashi). Diese Form ist die allgemein Höfliche und kommt am Häufigsten zum Einsatz. Hiermit kann man also nicht viel falsch machen. Wenn man neue Leute kennen lernt, mit dem Verkäufer im Laden spricht, oder einfach jemanden nach dem Weg fragen möchten, liegt man mit 私 richtig. Es ist ungefähr mit unserem „Sie“ als Anrede vergleichbar und gehört zu der normalen, anzuwendenden Höflichkeitsform. Diese Form wird dabei von beiden Geschlechtern gleichermaßen verwendet.
- Zusätzlich gibt es eine weitere Form, die nur von Frauen verwendet werden kann: あたし (atashi). Auch eine höfliche Form, die nichts anderes als „ich“ bedeutet, aber sehr weich und femin ist.
- Es gibt ein eigenes Wort, das vorrangig von Jungs und unter Freunden verwendet wird. Es lautet 僕 (ぼく = boku). Es klingt sehr locker und jugendhaft, wird aber gelegentlich auch verwendet, wenn sich junge Leute mit älteren oder ranghöheren Gesprächspartnern unterhalten. Gelegentlich wird es sogar auch von jungen Frauen verwendet, wie mir in einem Lied von 浜崎あゆみ (Ayumi Hamasaki) aufgefallen ist.
- Die wohl lockerste Form, die Männer benutzen können, um von sich selbst zu sprechen ist 俺 (おれ = ore). Es ist etwas respektloser und klingt deutlich männlicher, als das zuvor erwähnte, jugendliche 僕. Unter Freunden ist diese Form häufig anzutreffen, aber auch dann, wenn man(n) auf Gesprächspartner trifft, die deutlich niedriger in der Hackordnung stehen. Beobachten kann man dies z.B. in japanischen Yakuza-Filmen, wo diese Form oft innerhalb dieser Kreise verwendet wird.
- Von ganz unten nach ganz oben, gibt es schließlich noch eine extrem unterwürfige Form, um sich selbst zu referenzieren. Solltet Ihr also einmal in die Verlegenheit kommen, Euer Wort an den Kaiser von Japan zu richten, wäre vermutlich 私 (わたくし = watakushi) die angemessene Form, um von Euch selbst zu reden. Die kleine Extrasilbe „ku“, die in die reguläre Höflichkeitsform eingebaut wird, macht deutlich, daß das Gegenüber weitaus Ranghöher ist, und der Sprecher ihm oder ihr den nötigen Respekt zollt.
So, genug von sich selbst gesprochen. Als ob diese vielen verschiedenen Formen von „ich“ nicht schon genug wären, gibt es das (fast) gleiche Spiel natürlich auch noch für die Anrede Eurer Gesprächspartner. Einfach zwischen dem freundschaftlichen „Du“ und dem höflichen „Sie“ zu unterscheiden, ist in der japanischen Kultur natürlich nicht ausreichend.
- Auch hier möchte ich wieder zunächst die erste Form nennen, die man für gewöhnlich lernt, wenn man sich der japanischen Sprache widmet. Um jemanden anzusprechen, gibt es das Wort あなた (anata), welches man sowohl für „Du“ als auch „Sie“ verwenden. (Zumindest am Anfang, solange man noch als frischer Lehrling der Sprache versucht, die eigene Sprache eins zu eins zu übersetzen.) Tatsächlich ist hier jedoch vorsicht geboten. Wie bei (leider) vielen Dingen im Studium der japanischen Sprache, ist dies nur eine starke Vereinfachung, um uns als Anfänger nicht zu verschrecken. Erst wenn man ein bißchen tiefer in die Sprache einsteigt, lernt man die Feinheiten kennen. So wird es anders als bei uns das „Du“ oder „Sie“ tatsächlich eher als eine sehr intime Anrede verwendet, beispielsweise in Briefen, die Ehepartner einander schreiben. (Dies ist auch in Filmen zu beobachten: Ein Brief der Frau an ihren Liebsten beginnt oft einfach mit 「あなた!」 was ohne weitere Anrede oder hinzufügen eines Namens oder sonstiger Floskeln – zumindest laut Untertiteln – soviel bedeutet, wie „Mein Schatz“ oder „Mein Liebling“.
- Für Gewöhnlich ist あなた also eher sparsam zu verwenden. Die direkte Anrede ist für Japaner in dieser Form eher ungewohnt und fühlt sich ein bißchen merkwürdig an. Am üblichsten ist es, sie in der dritten Person, einfach direkt mit dem Namen anzusprechen. Statt 「今日あなたは時間があるの?」 („Hast Du heute Zeit?“) wäre also eher 「今日たかしくんは時間があるの?」 („Hat Takashi heute Zeit?“) also weitaus üblicher, also die Verwendung des Namens des Gesprächspartners (hier: Takashi). Dies erfordert anfangs etwas Gewöhnung, da man doch umdenken muß, und bald merkt, daß man nicht einfach direkt aus dem Deutschen übersetzen kann, um natürlich zu klingen.
- Noch häufiger ist es, die Anrede einfach wegzulassen. Aus dem Zusammenhang und der direkten Konversation wird sie überflüssig, und es ist klar, was gemeint ist. Die Frage, ob beispielsweise der Gesprächspartner etwas Sushi essen möchte, lautet dann einfach bloß 「寿司を食べたいんですか?」 („Sushi wo tabetai n desu ka?“), bei dem jegliche Anrede weggelassen werden kann.
- Manchmal ist es jedoch erforderlich, den anderen anzusprechen, z.B. um etwas zu betonen. Neben der Verwendung des Namens gibt es noch das Wort きみ (kimi), was ein einfaches „Du“ unter Freunden bedeuten kann. Es kann auf Augenhöhe verwendet werden und klingt nicht so stark, wie あなた。
- Hoffentlich nicht, um es zu verwenden, aber um es wenigstens zu verstehen, noch zwei Formen, die eher, bzw. sehr unhöflich sind, und nur dann verwendet werden, wenn man dem Gegenüber seinen niedrigeren Stand unter die Nase reiben möchte.
- あんた (anta) ist eine Form, die – so wurde mir gesagt – beispielsweise von älteren Frauen gegenüber kleinen, frechen Kindern verwendet wird. Beim Schreiben ist darauf zu achten, da man hier leicht ins Fettnäpfchen treten kann, wenn man beim Tippen versehentlich ein „a“ unter den Tisch fallen läßt, und aus dem „anata“ diese arrogantere Form „anta“ wird. Unter Freunden handelt man sich hier jedoch in der Regel höchstens ein paar Lacher ein. ^^
- Will man seiner Überlegenheit besonderen Ausdruck verleihen, wird das minderwertige Gegenüber mit お前 (おまえ = omae) tituliert. Auch bei dieser Form hoffe ich, daß Ihr sie nur in Animes oder Filmen antreffen werdet, und sie möglichst nicht – außer im Scherz unter Freunden – im Alltag anwendet, und damit irgendwelchen Japanern auf den Schlips tretet.
Dies sind zunächst mal die wichtigsten Formen, denen man begegnen wird, wenn man sich mit der japanischen Sprache beschäftigt. Ein Hinweis noch: ganz leicht kann man aus diesen Formen eine Plural-Anrede machen, indem man einfach die Silben たち („-tachi“) anhängt. Die Höflichkeitsstufe bleibt dabei erhalten. Wir ist also 私たち (watashitachi) und Ihr wird einfach als あなたたち (anatatachi) gebildet.
So, damit habe ich einen ersten, ganz groben Überblick über die verschiedenen Höflichkeitsformen geben wollen. Das deckt natürlich bei Weitem nicht alles ab! Dies war nur ein kleiner Vorgeschmack, was noch alles auf Euch zukommt. Aber keine Angst, ich will Euch damit nicht entmutigen, sondern Euch eher darauf vorbereiten, was Euch noch erwartet. Aber ich kann Euch beruhigen: Allein die Tatsache, daß Ihr Euch die Mühe macht, diese fremde und schwierige Sprache zu lernen, wird Euch schon anerkannt werden, und die meisten werden eher Eure Mühe zu schätzen wissen, statt auf den kleinen Fehlern herumzureiten, die jeder macht.
Also, keine Sorge und weiterhin viel Spaß beim Lernen!
Möchtest Du weitere Hilfe beim Japanisch Lernen? Vielleicht hast Du ja Lust auf meinen Unterricht 🙂
Toll!! Ich finde deine Erläuterung vollkommen!
Ich als Japanerin kann damit Japanisch lernen, wie es funktionert.
Danke 🙂
Und dazu “うち”benuzt mach auch statt わたし. Vor allem Mädels. Ich hab auch einmals mich selber sogenannt. das ist ja wie eine Mode für Mädels mit 10 bis 18 oder so.
ah ja, stimmt, うち habe ich vergessen, weil ich es vor kurzem erst gehört habe und bis daher nur mit der Beudeutung "Haus" kannte, und nicht "ich". びっくりした! Aber vielen Dank, es freut mich, daß Dir meine Erklärung gefällt. ありがとう~~~!
Super Artikel !
Danke dafür